In Trauer um die Opfer bei „Charlie Hebdo“
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Gestern, am 7. Januar 2015, wurden bei einem Massaker in Paris zwölf Menschen umgebracht. Drei mit Kalaschnikows bewaffnete Männer stürmten in die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris, wo gerade Redaktionskonferenz war, und töteten zehn Menschen, darunter den Chefredakteur und vier Zeichner. Zwei weitere Menschen wurden auf der Straße erschossen, während sie als Polizisten ihren Beruf ausübten. Elf weitere Menschen wurden verletzt. Die Attentäter, offensichtlich Islamisten, konnten zunächst fliehen. Bis zum Morgen darauf hat es mehrere Festnahmen gegeben. Die beiden Hauptverdächtigen, die Brüder Said und Cherif K., sind zurzeit noch flüchtig.
Ich muss sehr an mich halten, um halbwegs ruhig zu bleiben, während ich dies schreibe. Ich trauere um die Toten, diese kreativen Köpfe, die zu den besten Frankreichs gehörten, und um die, die sie beschützen wollten. Ich möchte den Angehörigen der Opfer mein Beileid ausdrücken, was mir aber nicht recht gelingen will, weil die Sprache angesichts des Schmerzes versagt. Ich hoffe, dass alle Verletzten wieder ganz gesund werden. Doch eines weiß ich schon jetzt: Die feigen Attentäter werden ihr Ziel nicht erreichen. Sie haben schon jetzt versagt, denn:
Das hat sich schon gestern Abend in Paris gezeigt, als die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gingen, um zu trauern und sich zu solidarisieren. In ganz Frankreich waren es mehr als hunderttausend. Das Attentat war nämlich mehr als der feige Mord an Menschen, deren „Waffen“ Stift und Feder, Wort und Bild waren. Es war ein Anschlag auf einen der zentrale Werte unseres Lebens: auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Egal, wie man zu den Inhalten von „Charlie Hebdo“ steht, ob man sie mag, gutheißt, kritisiert oder verurteilt — die Franzosen gingen sofort nach draußen und signalisierten auf diese Weise unter anderem, dass sie diese Werte verteidigen. „Je suis Charlie“. In der Masse wurde daraus „Nous sommes Charlie“. Wir sind Charlie. Und zwar wir alle, auch wir in Deutschland. Mit uns allen können diese Verbrecher es nicht aufnehmen.
Von Stéphane Charbonnier, genannt Charb, dem Chefredakteur von „Charlie Hebdo“, ist dieses Zitat überliefert:
„Ich bin seit einem Jahr unter Polizeischutz gestellt, seit der Affäre Scharia Hebdo. Es ist schwer im Alltag, besonders in Paris, unter ständiger Überwachung zu stehen. Aber ich habe keine Angst vor Repressalien. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keinen Kredit. Es hört sich gewiss ein wenig schwülstig an, aber ich bevorzuge stehend zu sterben, anstatt auf Knien zu leben.“ (Quelle: Wikipedia)
Schwülstig? Nein, dramatisch. Und prophetisch. Aber Charbonnier lebte nicht auf den Knien. Er lebte für die Satire, so wie auch die anderen Ermordeten der Redaktion. „Charlie Hebdo“ pflegte einen oft ruppigen Stil und hatte vor nichts und niemand Respekt in einem Sinn, der über Quintillians Bonmot weit hinausgeht: Lieber einen Freund verlieren als eine Pointe auslassen. „Charlie Hebdo“ polarisierte und stieß vor den Kopf. Das Magazin griff bevorzugt Religionen an, Judentum, Christentum und auch den Islam: Es druckte Mohammed-Karikaturen. Damit schuf es sich viele Feinde, darunter auch solche, die nicht willens waren, diese Kritik auszuhalten, Feinde, die zu den Waffen griffen und „Charlie Hebdo“ zerstören wollten. Was ihnen jedoch nicht gelingen wird.
Wie armselig ist das? Diese Typen, die behaupten, mit dieser Mordtat den Propheten gerächt zu haben, nehmen für sich in Anspruch, ihre Religion verteidigt zu haben. Ganz offensichtlich haben sie ihren Koran nicht gelesen. „Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen“, das sind — bei allem strittigen, was dann folgt — die ersten Worte des Koran, eine Art Präambel, die den Geist kennzeichnet, den die Offenbarungen atmen. Warum haben diese Typen nicht begriffen, was der Kern ihrer Religion ist? Weil sie an die falschen Prediger geraten sind? Weil sie Hass im Herzen trugen? Weil sie verroht sind — rohe Menschen in einer immer mehr verrohenden Gesellschaft? Wer seines Glaubens sicher ist, braucht ihn nicht nach außen zu verteidigen, nicht mit Waffen und nicht einmal mit Worten. Der kann aufrecht sagen: Ihr wisst ja gar nicht, wovon ihr redet. Offensichtlich waren die Mörder sich ihres Glaubens aber zutiefst unsicher.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière hat nicht recht, wenn er sagt, der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ habe nichts mit dem Islam zu tun. Natürlich hat das Attentat mit dem Islam zu tun — mit einem Islam, der instrumentalisiert und bewusst selektiv ausgelegt wird, um Menschen zu manipulieren und zu Gewalttätern zu machen. So wird daraus eine Ideologie des Hasses. Wie wird das möglich? Wie kann eine Schrift, die der Barmherzigkeit gewidmet ist, vorsätzlich derart missbraucht werden? Das sind Fragen, die sicher nicht nur mich umtreiben und auf die ich noch immer keine Antworten weiß, obwohl diese Probleme nicht neu sind. Was ich aber weiß, ist: Ich finde diese Antworten nur, wenn ich mit Muslimen darüber rede. Wenn ich sie frage und ihnen zuhöre, in einer Art und Weise, die uns, die wir zivilisiert miteinander umgehen wollen, würdig ist.
Das alles nimmt mich sehr mit. Auch ich bin Satiriker und Autor und ein kritischer Kopf. Die Toten von „Charlie Hebdo“ sind gewissermaßen Kollegen, auch wenn ich sie nicht persönlich kannte. Ich bin an einem friedlichen Zusammenleben mit den Muslimen interessiert, die in Deutschland leben, die Deutsche sind und die das Leben in diesem Land mit seinen Freiheiten genauso zu schätzen wissen wie ich. Das Attentat auf „Charlie Hebdo“ war ein Angriff auf eine Lebensweise, die diese Muslime mit mir teilen. Mit Dir hoffentlich auch. Selbst dann, wenn es mal nicht ganz einfach ist, und selbst dann, wenn wir über die Frage, was Satire darf, trotz Tucholsky immer noch streiten müssen: Satire darf alles.
Soll ich eine Lektion aus dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ benennen? Hier: Lasst uns reden.
Oder wie „Charlie Hebdo“ auf der Webseite des Magazins schrieb:
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