Virenkrieg
Roman-Zyklus von Lutz Büge
Incubus – Virenkrieg III
Biowaffen, Geheimorganisationen
und einsame Entscheidungen –
die Menschheit am Rand ihrer Auslöschung.
„Willkommen in einer Welt, in der es keine saubere Trennung
mehr gibt zwischen Gut und Böse, richtig und falsch.“
Frankfurter Rundschau
.
Kopfwäsche für den Westen
Jürgen Todenhöfer polarisiert. Das hat er schon immer getan, schon als er 1984 samt Kameramann an einem Angriff von Mudschahedin auf eine sowjetische Garnison in Afghanistan teilnahm. Damals war er ein prominenter Befürworter des Guerillakriegs gegen die sowjetischen Besatzer, also auch der Aufrüstung der Mudschahedin durch die USA. Heute weiß jedes Kind, dass diese Aufrüstung ein riesiger Fehler war. „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ – diese kurzsichtige Devise der USA hat großen Schaden angerichtet. Die Unterstützung für die Dschihadisten mündete in die Entstehung von Taliban und al-Qaida. Die USA hatten mit ihrer CIA-Geheimoperation Cyclone jene Terorristengruppe herangezogen, die für die Attentate auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 verantwortlich sein würde. Nach seiner eigenen Logik müsste Jürgen Todenhöfer dafür mitverantwortlich gemacht werden, so wie er heute die Leitmedien des Westens in seinem Buch „Die große Heuchelei“ für den zunehmenden Militarismus der Außenpolitik mitverantwortlich macht. Todenhöfer war in der 1980er Jahren im deutschen Fernsehen sehr präsent und hat seinen Einfluss im Sinne der Sache geltend gemacht, die er für richtig hielt. Er hat sich geirrt.
Virenkrieg-Autor Lutz Büge
schreibt auf Ybersinn.de über
die Hintergründe seines Romanzyklus.
Man möchte sich wünschen, dass Todenhöfer, mit dieser Erfahrung im Rücken, verbal ein wenig abrüsten würde. Denn er hat daraus gelernt, wie seinem Buch zu entnehmen ist, und vieles von dem, was er darin schreibt, ist ganz einfach richtig. Etwa wenn er deutsche Journalisten wie Josef Joffe dafür kritisiert, dass für sie die Geschichte des islamistischen Terrors praktisch erst mit 9/11 zu beginnen scheint und dass ihnen als Antwort vor allem militärische Reaktionen einfallen. Oder wenn er den Irakkrieg der USA als Terrorzuchtprogramm bezeichnet. Todenhöfer hat einen Blick auf die Ursachen des Terrors, der den Westen in die Verantwortung nimmt – eine Perspektive, die maßgeblich geprägt wird von Reisen in die Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Todenhöfer berichtet von erschütternden Zuständen, vor allem wenn er beschreibt, was der Krieg mit Kindern anstellt, die im Kriegsgebiet leben. Man muss Todenhöfer in mehrere Krankenhäuser in Mossul und anderswo folgen. Hier wird eindrücklich klar: Krieg bewirkt niemals Gutes.
Todenhöfers Blick auf die Dinge ist nicht neutral. Er nimmt Anteil. Folgerichtig kommt er zu dem Schluss, dass Krieg keineswegs das letzte Mittel von Politik sein dürfe, sondern dass er, wie Willy Brandt sagte, die „Ultima Irratio“ sei. Die glänzende Bestätigung dafür haben die USA im Irakkrieg geliefert: erlogene Kriegsgründe, keine Strategie über die militärische Aktion hinaus, keinen Plan für das eroberte Land, dem man angeblich die Demokratie bringen wollte. Die Folge war Chaos. Eine fast zwingende Folge, wenn man liest, was Todenhöfer bei seinen Gesprächen in Washington hörte. Haben die USA eine Strategie für den Nahen und Mittleren Osten?, fragt er. Die Antwort namhafter Vertreter des Washingtoner Establishments lautet verkürzt: Strategie? So etwas haben wir nicht. So äußert sich etwa Admiral Dennis Blair, der unter Barack Obama Chefkoordinator der US-Geheimdienste (DNI) war. Kann bei einer Politik ohne Konzept etwas Konstruktives herauskommen?
Einen besonderen Moment gibt es, als Todenhöfer berichtet, wie sich IS-Kämpfer, die er begleitet, über die Zerstörung von Militäranlagen an der Grenze zwischen Syrien und Irak freuen. Diese Grenze geht auf das verheerende Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zurück, in dem die damaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich mit der Willkür von Großmächten Grenzen im Nahen und Mittleren Osten zogen, wo nie Grenzen waren. Die Folge waren permanente Unruhen.
Grafik: Ian Pitchford
via Wikicommons
Schon 1918 soll der britische Diplomat Marc Sykes, einer der Väter des Abkommens, geraten haben, wieder Abstand von diesem Vertrag zu nehmen. Hundert Jahre später kann der „Islamische Staat“ die verhasste Grenze für eine Weile verwischen. Hier treten die historischen Ursprünge des Terrors hervor. Die Erniedrigung der islamischen Welt ist seitdem fester Bestandteil westlicher Politik, sagt Todenhöfer. Der Westen habe vor allem seine eigenen wirtschaftlichen und Machtinteressen im Sinn und gebe sich dabei den Anschein, westliche Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu verfolgen.
So wäscht Todenhöfer dem Westen den Kopf. Sein Buch ist eines von der Sorte, über die man sich selbst ein Bild machen sollte, gerade weil es polarisiert. Es zeigt, dass Menschen lernen können. Die USA haben dieselbe Strategie, mit der sie in den 1980er Jahren in Afghanistan gescheitert sind, in den 2010er Jahren wieder angewendet, indem sie Feinde des syrischen Diktators Assad militärisch aufgerüstet haben: unter anderem die Al-Nusrah-Front, einen Ableger von Al-Qaida. Diesmal, 30 Jahre nach dem Sturm auf die sowjetische Garnison in Afghanistan, kritisiert Todenhöfer diese Strategie. Erneut haben die USA Terroristen gepampert. Barack Obama und insbesondere die damalige Außenministerin Hillary Clinton wollten den Regimewechsel in Damaskus. Unbedingt. Die Motive sind durchaus nachvollziehbar. Die Methode nicht. Allerdings fragt man sich: Wenn der Westen angeblich was gegen Diktatoren hat, warum kommt er dann mit denen in Saudi-Arabien so gut klar? Und man fragt sich: Lernt in Washington niemand aus der Geschichte? Die Antwort: Das tut nicht nur in Washington keiner. Sonst müsste man ja eine Strategie entwickeln.
Jürgen Todenhöfer: Die große Heuchelei.
Wie Politik und Medien unsere Werte verraten.
Propyläen. Berlin 2019. 349 Seiten, 19,99 Euro
Nächste Woche: Work in progress – Unterschiede zwischen den „Incubus“-Versionen
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