Menschen kriegen Kinder, Autoren kriegen Romane. Das soll nun nicht heißen, dass Autoren keine Menschen wären. Aber ihre Romane sind jedenfalls keine Kinder. Nicht im biologischen Sinn. Man kann jedoch bildhaft sagen: Die Romane wachsen beim Schreiben heran und bereiten dabei ebenso Probleme wie schöne Momente. Und wenn ein Roman geschrieben ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem der Autor ihn loslassen und in die Welt entlassen muss. Sieben Mal habe ich diesen Prozess in den vergangenen fünf Jahren durchlebt, und manches meiner Babys ist ziemlich böse geworden.
Dafür gab ich mein Bestes.
Die ungewöhnlichste Reise meines Lebens (5)
(Anmerkung vorab: Dieser Reisebericht erschien erstmals am 22. Februar 2013 auf Ybersinn.de. Er wurde für diese Neuveröffentlichung ganz leicht überarbeitet. Und hier kommt noch der Link zum ersten Teil dieses Reiseberichts.)
Im Frühjahr 1998 reisten mein Mann und ich mit der Feluke „Canada“ den Nil abwärts. Nicht immer ging es dabei so entspannt zu wie auf diesem Foto, auf dem der spätere Ybersinn-Hauptstadtkorrespondent übrigens rechts zu sehen ist:
Links ist Felukenkapitän Nadi zu sehen, hinten am Ruder der „Canada“ sein Schiffsjunge, der zu Erstaunlichem in der Lage war:
Denn wie Segelboote es so an sich haben, verfügte auch die „Canada“ über ein Segel an ihrem einzigen Mast, das hin und wieder eingeholt werden musste. Beispielsweise wenn das Tageswerk getan war und die „Canada“ zur Nacht anlegte. Dann musste der Bursche hinauf in die Takelage.
Auf dem Foto rechts ist es bereits wieder Morgen. Wir haben eine ruhige Nacht hinter uns. Man sieht sehr deutlich, dass Reiseleiter Hassan und Kapitän Nadi leicht einsehbares Gelände zum Ankern ausgewählt hatten. Wir drei Touristen dachten uns dabei nicht viel, aber später erfuhren wir, dass dahinter Absicht steckte, denn so konnte Hassan, der nachts wohl kaum schlief, jederzeit leicht erkennen, wenn sich jemand der „Canada“ näherte, der besser fernbliebe — islamistische Terroristen beispielsweise. Der nächste Strauch zwanzig Meter entfernt, ansonsten nichts als offenes Land in der Nähe des Ankerplatzes — so sahen unsere Liegeplätze aus. Es geschah uns jedoch nichts.
Bis auf das Frühstück. Das war ein wenig gewöhnungsbedürftig. Freunden der Konfitüre sei gesagt: Bringt Euch selbst etwas mit, wenn ihr es morgens süß braucht. Kalter Fladen, Schafkäse, Eier und gebackene Bohnen — der Schwerpunkt dieses Frühstücks lag auf deftig. Dazu ein wenig Orangen-Marmelade. Ja, die Nachwehen des britischen Empires beschäftigten uns noch im Frühjahr 1998. Auch die gebackenen Bohnen waren nicht ohne. Reiseleiter Hassan behauptete, ohne solche Bohnen zum Frühstück nicht leben zu können. Irgendwie, so meinte er, müsse er morgens seine Verdauung anschieben. Hat immer zuverlässig funktioniert, wie ich aus eigener Geruchserfahrung bestätigen kann.
Hier steuert die „Canada“ einen der kulturellen Höhepunkte der Reise an: den Doppeltempel von Kom-Ombo, geweiht dem krokodilköpfigen Gott Sobek und dem falkenköpfigen Haroeris. Die Tempelanlage ist immerhin 2300 Jahre alt — und zählt damit im Grunde nicht zu den altägyptischen Kultstätten, sondern zu den ptolemäischen, also denen, die nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen entstanden. Aber auch unter hellenistischem Einfluss bewahrte der Architekturkanon der Ägypter seine Eigenheiten.
Auf dem Foto sieht man auch einige der schwimmenden Bettenburgen, mit denen die weit überwiegende Zahl der Kreuzfahrttouristen den Nil bereist. Es war lustig, mit der Feluke ihre Bugwellen zu reiten, aber Nadi war schlecht, sehr schlecht auf seine massigen Konkurrenten zu sprechen: Er berichtete von Unfällen, die wegen der Rücksichtslosigkeit der Dampferkapitäne geschehen waren.
Und dann passierte es. DIE Katastrophe schlechthin fyr ein Segelschiff: Flaute!
Am Nil weht die meiste Zeit des Jahres ein konstanter Nordwind. Das hat zwar den Nachteil, dass man mit der Feluke gegen den Wind ankreuzen musste, um nach Norden voranzukommen, aber mit ein bisschen Übung geht das ganz zügig. Nun waren wir ja bekanntlich auf dem Weg von Assuan nach Luxor, also nach Norden. Ohne Wind waren wir der Strömung des Nil ausgesetzt. Das ist gefährlicher, als es klingt, denn um ein Boot manövrieren zu können, braucht man Druck auf dem Ruderblatt, also Wasser, das entgegen der Fahrtrichtung am Ruderblatt entlangströmt. Ein Boot, das lediglich mit der Strömung treibt, hat die gleiche Geschwindigkeit wie das Wasser — und damit null Druck auf dem Ruderblatt.
Also griffen wir zu den Rudern. Der Typ links, der mit der Taqiya auf dem Kopf, bin übrigens ich. Und rechts sehen wir Hassan, den Heldenhaften, der so zuverlässig unsere von Islamisten (nicht) bedrohte Nachtruhe sicherte.
Rudern macht Spaß. Für ungefähr eine halbe Stunde. Dann wird es anstrengend. Für mich. Alle anderen an Bord erreichten diesen Punkt schon früher, ja, ein bestimmter Prozentsatz der Menschen an Bord der „Canada“ fand den Gedanken, rudern zu müssen, von Anfang an null spaßig. Aber auch ich hätte sicher begonnen, das Rudern zu hassen, wenn wir auf diese Weise die restlichen hundert Kilometer bis Luxor hätten zurücklegen myssen. Doch als die Flaute am nächsten Tag anhielt, tätigte Hassan ein Telefonat, erkundigte sich über die Wettervorhersage und entschied dann, unsere kleine Kreuzfahrt im nahen Edfu abzubrechen. Der Wind würde an diesem Tag ausbleiben. Und die Entscheidung war richtig: Auch am folgenden Tag noch blieb es windstill.
Ich nahm zahllose Eindrycke von dieser Reise mit und habe auch heute noch lebhafte Erinnerungen. Viele davon haben natürlich mit dem unvergleichlichen kulturellen Reichtum Oberägyptens zu tun, aber Ägypten hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Gegenwart — und hoffentlich Zukunft. Einen dieser Eindrücke habe ich im Dia festgehalten: Eine Gruppe von Frauen hat Wäsche gewaschen und macht sich gerade auf den Weg zurück ins Dorf.
Alle Bilder sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ungefragt verbreitet werden!
Die anderen Teile dieses Reiseberichts: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.
Ende der Reise
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