Auf den Spuren von Ramses II.

Menschen kriegen Kinder, Autoren kriegen Romane. Das soll nun nicht heißen, dass Autoren keine Menschen wären. Aber ihre Romane sind jedenfalls keine Kinder. Nicht im biologischen Sinn. Man kann jedoch bildhaft sagen: Die Romane wachsen beim Schreiben heran und bereiten dabei ebenso Probleme wie schöne Momente. Und wenn ein Roman geschrieben ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem der Autor ihn loslassen und in die Welt entlassen muss. Sieben Mal habe ich diesen Prozess in den vergangenen fünf Jahren durchlebt, und manches meiner Babys ist ziemlich böse geworden.

Dafür gab ich mein Bestes.

Größere Ansicht

 

Auf den Spuren von Ramses II.
oder
Die ungewöhnlichste Reise meines Lebens (4)

(Anmerkung vorab: Dieser Reisebericht erschien erstmals am 10. Februar 2013 auf Ybersinn.de. Er wurde für diese Neuveröffentlichung ganz leicht überarbeitet. Und hier kommt noch der Link zum ersten Teil dieses Reiseberichts.)

Eine solche Überschrift lässt einen gleich an kleinteilige Detektiv- oder Archäologenarbeit denken, nicht wahr? Doch um in Ägypten Ramses dem Zweiten auf die Spuren zu kommen, muss man weder Detektiv noch Archäologe sein. Ägypten ist nämlich voller Spuren dieses Pharaos. Wobei das Wort „Spuren“ leicht untertrieben erscheint angesichts solcher Riesenmauken einer seiner Kolossalstatuen.

Das dürfte schätzungsweise Schuhgröße 570 sein, oder? Wenn das mal reicht … Jedenfalls versteht man sofort, warum Ramses II. auch der Große genannt wird.

Aber dafür gibt es noch weitere Gründe. Er hat etwa hundert Kinder gezeugt, erreichte das biblische Alter von 91 Jahren und hatte neben seinen beiden Hauptfrauen Nefertari und Isisnofret noch diverse Nebenfrauen – und damit hatte dieser offensichtlich recht umtriebige Mann rein zeitlich und thronfolgertechnisch viel Gelegenheit, der Nachwelt seinen genetischen Stempel aufzudrücken. So gut wie jeder heute lebende Ägypter dürfte Gene von Ramses tragen.

Ramses hatte einen Hang zum Kolossalen. Hätte ich an seiner Stelle auch gehabt. Allerdings hätte sich mein Harem entscheidend anders zusammengesetzt, und mutmaßlich wären bei meinen dortigen Aktivitäten auch nicht annähernd so viele Kinderchen entstanden. Aber davon schweigen wir an dieser Stelle und wenden lieber den Blick auf das schöne Bild links, das die umgestürzte Kolossalstatue des Pharao zeigt, zwischen dessen Füßen ich oben sitze. Der Herr in Weiß ist übrigens kein Arzt. Er sitzt dort einzig und allein, um für uns den Hals der Statue zu markieren. Links von ihm der beschädigte Kopf, rechts der noch viel beschädigtere Oberkörper des Herrschers.

Jede/-r kennt den Namen Ramses noch heute. Das ist vor allem das Ergebnis einer enorm erfolgreichen politischen Propaganda, die bis heute wirkt und die sich nicht zuletzt in Ramses‘ noch viel enormerem Bauprogramm ausdrückt. Wohin in Ägypten Du auch kommst — Ramses war schon da! Dieser Mann, der das Pharaonenreich von etwa 1279 bis 1213 v.C. regierte, hat überall mächtig seine Duftnoten hinterlassen. Nicht zuletzt in seinem eigenen Totentempel, dem Ramesseum, am Westufer des Nils bei Luxor. Die oben gezeigte zerbrochene Statue war aus einem Stück. Sie zählt zu den größten Monolithen der Welt, war ursprünglich einmal 19 Meter hoch, wog geschätzte tausend Tonnen und stammt aus Assuan. Das liegt etwa 200 Kilometer nilaufwärts. Jetzt darf man sich gern fragen: Wie haben die Leute das damals hingekriegt, so einen Monsterbrocken nicht nur zu transportieren, sondern auch noch aufzurichten? Ja, die alten Ägypter! Die konnten schon was.

AnzeigeSolche Statuen und solche Bauwerke — neben dem Ramesseum hat Ramses u.a. den berühmten Tempel von Abu Simbel in den Fels hauen lassen, hat dem Amun-Tempel von Karnak wesentliche Teile hinzugefügt, hat in Abydos neben dem Totentempel seines Vaters Sethos I. einen Tempel gebaut und und und — solche Bauwerke sind Machtdemonstrationen und zielten auf das Innerste des Glaubens der alten Ägypter. Pharao war Horus, der Sohn des Osiris, und seine Aufgabe war es, das Ma’at-Prinzip zu garantieren. Das heißt in knappen Worten: die Wahrung und Mehrung des Bestehenden. Die alten Ägypter waren mutmaßlich sehr konservative Leute und abrupten, revolutionären Veränderungen gegenüber nicht besonders aufgeschlossen. Sie wussten, dass sie vom Nil und dem fruchtbaren Schlamm abhängig waren, der vom Fluss aus dem Inneren Afrikas nach Ägypten getragen wurde und sich bei den Nil-Überschwemmungen ablagerte. Der Wohlstand, die Stabilität des politischen Systems des Pharaonenreichs beruhte auf diesem Schlamm. Die Wahrung des Bestehenden bedeutete, die Überschwemmung und damit die Stabilität zu garantieren. Erst wenn das gewährleistet war, wurde an die Mehrung des Bestehenden gedacht. Dafür trat der Pharao als Gottkönig ein, und darum wurde, das glaubten die alten Ägypter, sein Herz nach seinem Tod vor dem Gericht des Osiris gegen die Feder der Göttin Ma’at gewogen. Indem Ramses kräftig baute, zeigte er seinem Volk schon im Diesseits, wie prachtvoll ihm dies alles gelang.

Doch dabei griff er zu Notlügen. Heute wissen wir, dass Ramses die Schlacht von Kadesch nicht gewonnen hat. Er hat sie allerdings auch nicht verloren. Weltgeschichtlich dürfte dieses Ereignis in etwa eine Bedeutung haben, wie sie die Schlacht gegen die Osmanen vor Wien von 1683 hatte. Damals, 1274 v.C. , wurde das Verhältnis zwei Großmächten austariert: Patt zwischen Ägyptern und Hethitern! Trotzdem präsentierte sich Ramses an der Außenwand des Tempels von Karnak oder hier rechts in seinem Tempel in Abu Simbel als siegreicher Feldherr, der voranstürmend Feinde erschießt. Propaganda eben. Ist ja heute auch nicht anders.

(Das Foto ist übrigens ausnahmsweise kein eigenes, sondern stammt aus der Sammlung von Wikimedia Commons.)

Ein zweifellos faszinierender Mensch, der Ägypten mehr als alle andere Pharaonen Stabilität verliehen hatte — und das war den Ägyptern das Wichtigste. Als er starb, dürfte es im Pharaonenreich niemanden gegeben haben, der sich persönlich an einen anderen Herrscher erinnern konnte. Stell Dir das mal vor, übertragen auf unsere Zeit: Merkel noch die nächsten 65 Jahre! Nur gut, dass es zwischendurch so was wie Fortschritt gegeben hat!

Wenn ich mir übrigens die Ramses-Mumie ansehe, dann will sich mir nicht so recht erschließen, worauf sich sein Erfolg bei den Frauen begründete — außer natürlich auf seiner Macht. All die Prozesse berücksichtigt, die Mumien nun mal während der Mumifizierung unterliegen: Der Mann muss einen ziemlichen Zinken von Nase gehabt haben. Das ist schon mal rein äußerlich nicht besonders hübsch. Allerdings mag es Leute geben, die sich einer Volksweisheit erinnern: Wie die Nase des Ramses, so sein …

Bekannt ist inzwischen, dass der Mann gegen Ende seines Lebens gelitten haben muss. Dank näherer Untersuchungen seiner Mumie wissen wir, dass er Arthritis hatte, außerdem unter einer Entzündung seiner Wirbelkörper und Verkrümmung der Wirbelsäule litt, so dass er im Alter kaum noch aufrecht gehen konnte, und dass er über ein sagenhaft schlechtes Gebiss verfügte, das eigentlich nur noch aus Löchern bestand. Auch Gottkönige sind eben nur Menschen.

Ich plädiere daher entschieden dafür, dass die Nachwelt, also wir, Ramses so in Erinnerung behalten, wie er es wohl selbst befürwortet hätte:

Alle Bilder sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ungefragt verbreitet werden!

Fortsetzung folgt.

 

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