Der Pentu-Papyrus

Wie erzählt man einen Papyrus? Da ist Fantasie gefragt. Lässt man ihn direkt übersetzen? Das wäre erzählerisch heikel, denn wenn man authentisch bleiben will, müsste man in Kauf nehmen, dass die Leserinnen und Leser vor dieser speziellen Sprache Reißaus nehmen — und das will ich natürlich nicht. Wie ich das Problem gelöst habe, ist in Teil 2 Einblicke meines neuen Romans  Der hölzerne Pharao nachzulesen.

Alles über Der hölzerne Pharao im Überblick: –> HIER.

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Der Pentu-Papyrus

Ich will nicht zu viel verraten, aber ein bisschen muss natürlich trotzdem sein, wenn ich über die Entstehung des Auszugs aus dem „Pentu-Papyrus“ berichten will, der in meinem neuen Roman Der hölzerne Pharao eine wichtige Rolle spielt. Es geht um den Papyrus, den Theo Magenheim, die Hauptfigur der Romane, am Anfang des Romans Der Osiris-Punkt in Abydos findet. (Der Osiris-Punkt ist der erste Teil des Amduat-Zyklus, Der hölzerne Pharao der zweite.) Verfasser des Papyrus ist ein Mann namens Pentu, Wesir von Pharao Sethos I., eine fiktive, aber realistische Figur. Pentu hat am Totentempel des Sethos —  siehe unten die Kartusche des Sethos aus der Königsliste von Abydos, fotografiert von Olaf Tausch — noch jahrelang den Totenkult aufrechterhalten. Nun offenbart sich, dass ihn eine Menge mit dem Pharao verbunden hat. Theo und seine Leute gewinnen neue Erkenntnisse durch den Papyrus, und es beginnt eine Schnitzeljagd durch die Ewigkeit.

Sethos KartuscheMan merkt es meiner Erzählung hoffentlich nicht an, wie schwer ich mich gerade mit dieser Passage getan habe. Bis ich mich dafür entschieden habe, den Text so zu schreiben, wie er nun im Roman veröffentlicht ist, hat diese Passage mehrere Entwicklungsschritte durchlaufen. Hier kommt ein Auszug aus der Vorgängerversion, die ich persönlich eigentlich viel schöner finde, die aber an der Stelle unglaubhaft wird, an der Theo beginnt, den Text in seiner Fantasie zu bewegten Bildern umzuformen. Das funktioniert erzähltechnisch ganz einfach nicht. Zudem ist gerade der Anfang, wo ich die direkte Übersetzung der Hieroglyphen simuliere, ein Lesehemmnis, denn er fällt sprachlich und stilistisch völlig aus dem Handlungskontext heraus, dem man an dieser Stelle, wo es doch gerade spannend und geheimnisvoll werden soll, hoffentlich gern folgt. Also habe ich mich für das genaue Gegenteil entschieden: In der Endfassung von Der hölzerne Pharao wird der Pentu-Papyrus ohne Umschweife direkt in erzählte Handlung übersetzt.

Hier dokumentiere ich nun einen der Schritte hin zu dieser Endfassung. Die Restauratoren Samuel Feuchtwanger und Pamela Bennett haben erste Passagen des  schwer angegriffenen Pentu-Papyrus‘ gesichert:

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15. Kapitel
London, 5. April, 18 Uhr

Sam begann vorzulesen. Es gelang ihm ohne Stocken und Holpern. Er hatte einen wunderbar volltönenden Bariton.

Ehre Dir, vergöttlichter Osiris in all Deiner Herrlichkeit. Als Du in den Westen gegangen bist, haben die Länder Dich gepriesen und Dir geopfert, damit Du Dich erneuerest, doch die Meinen haben geweint, und ich weinte mit ihnen, denn wir haben gesehen, was wirklich geschehen ist. Wir haben Dir treu gedient nach unseren Kräften und haben Schaden von Dir abgewehrt zum Besten der beiden Länder, so wie Ma’at es gebietet. Wir haben den Wedel über Dich gehalten und Dir auf der Jagd die Pfeile gereicht. Auch haben wir Dir die Füße gewaschen und Dir geholfen, Reichtum und Wohlstand der beiden Länder zu mehren. Bei Deinem Tempel des Gartens Men-Maat-Re – Leben! Wohlstand! Gesundheit! – habe ich, Dein treuer Diener Pentu, noch über drei Schwemmen hinweg in Abjedu für Deine Wohlfahrt im Westen gebetet. Doch nun kamen die Diener des Amun-Re, um Deinen Leichnam in die Stadt der Toten bei Waset zu bringen. Mein Sohn Paser droht verstoßen zu werden. Ich selbst habe mich an einen Ort zurückgezogen, an dem die Schergen des Amun-Re mich nicht suchen werden, und erbitte demütig Deinen Schutz für meinen Sohn und meine Sippe und Deine liebende Hand, die ihnen beim Übergang in den Westen helfen möge, wenn ihnen ein Übel zustoßen sollte. Für mich selbst erbitte ich von Dir nichts als die Zeit, die ich brauchen werde, die Geschichte so niederzuschreiben, wie sie wirklich gewesen ist. Denn die Zeit der Geschichtsfälscher ist bereits angebrochen, Herr meines Lebens, und ich muss fürchten, der letzte zu sein, der Deine Geschichte wahrheitsgetreu niederlegen kann.

Dreißigmal hatte mein Leben schon die große Schwemme gesehen, die Herrin der Fruchtbarkeit und des Lebens, als Du gekrönt wurdest und den Thron der Westlichen bestiegen hast. Seitdem sind vierzehn weitere Schwemmen hinzugekommen. So lange weile ich schon in diesem Leben, und jetzt habe ich keine Zeit mehr.

Es war am 15. Achet II. im Monat Menchet vor fünfzehn Schwemmen, als wir uns nach langer Zeit wiedersahen. Du warst von Deinem Vater Paramessu, der unter dem Namen Ramses I. den Thron bestiegen hatte, zum Wesir Oberägyptens berufen worden und hattest daraufhin eine Handvoll Deiner Getreuen, darunter auch mich, ausgesandt, damit wir uns ein getreues Bild von den Verhältnissen in den beiden Ländern verschaffen sollten. Du hattest zu Recht den Verdacht, dass jenes Bild, welches die Höflinge vor den Ohren Deines Vaters von den Zuständen im Lande zeichneten, nicht der Wirklichkeit entsprach. Ich hatte zwei Monate im Delta verbracht und die Ankunft der Schwemme gesehen. Sie fiel in diesem Jahr reich aus, und die Menschen sprachen überall voller Hoffnung davon, dass dies ein gutes Vorzeichen für die Herrschaft Deines Vaters sei, Herr meines Lebens. Die Götter schienen ihm und damit auch Dir wohlgesonnen. Doch ich kam keineswegs ausschließlich mit guten Nachrichten nach Men-nefer zurück, der tausendjährigen Stadt des goldenen Ptah, wo Deine Vorgänger seit vielen hundert Schwemmen residiert hatten …

Theo konnte seine Phantasie kaum im Zaum halten. Er sah, wie Pentu nach Men-nefer zurückkehrte, die Stadt des Ptah, die heute meist Memphis genannt wurde, in allen Details vor seinem geistigen Auge. Er spürte die heißen Strahlen der Frühsommersonne auf seiner Haut, als reite er selbst durch die glühenden Gassen der Hauptstadt Unterägyptens. Aus jedem der Worte, die Sam vortrug, tropfte ihm die Abneigung gegen Waset entgegen, der oberägyptischen Hauptstadt Theben, wo im Reichstempel von Karnak Amun-Re wohnte, der verborgene Gott. Und während Sam weiterlas, gab Theo seiner Phantasie nach und ließ zu, dass sie das Gehörte in innere Bilder und Szenen übersetzen.

Doch ich kam keineswegs ausschließlich mit guten Nachrichten nach Men-nefer zurück, der tausendjährigen Stadt des goldenen Ptah, wo Deine Vorgänger seit vielen hundert Schwemmen residiert hatten …

… und wo ich zu Hause war. Ich hätte gern als erstes meine alte Mutter besucht, die ich noch länger nicht gesehen hatte als meinen Freund Sethi, den Wesir. Doch der Bote, der mich in Sethis Auftrag im Delta aufgespürt hatte, strebte stracks dem Palast zu und ließ mir keine Zeit. Er wollte mir nicht sagen, was geschehen war. Oder er durfte es nicht. Doch wenn Sethi auf diese Weise nach mir schickte, musste etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein.

Ungewöhnlich war auf jeden Fall, dass der Bote mich zum königlichen Palast führte und nicht zur Residenz von Sethis Familie. Nach meiner Kenntnis hielt sich Pharao Ramses I., Sethis Vater, zurzeit in Waset auf, so dass Usermonth, sein Wesir für Unterägypten, Hausherr im Palast von Men-nefer war. Doch der Bote schien zu wissen, was er tat, als er im Hof des Palastes vom Pferd stieg. Wir passierten mehrere Wachen, zuletzt die der königlichen Leibgarde, ehe mich ein Diener mit den Worten in Empfang nahm:

„Der Diener des Horus erwartet dich bereits, Herr!“

Ecklogo klein„Pentu drückte die Tür hinter sich mit aller Kraft in ihre steinerne Fassung. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Wand. Solche Anstrengungen waren nichts mehr für ihn. All die Stufen in die Tiefe, die Leiter, die er wegziehen musste, und schließlich noch die schwere Tür! Früher hätte er die Treppen im Laufschritt genommen, aber inzwischen hatte sein Leben vierundvierzig Schwemmen gesehen. Eine lange Frist – und doch hatte er jetzt, am Ende, plötzlich keine Zeit mehr.“

Eine 3300 Jahre alte hölzerne Statue gibt Rätsel auf, die nur mit abenteuerlichen Methoden gelöst werden können. Ein Botschafter a.D. ist in geheimer Mission in Kairo unterwegs, und eine bretonische Detektivin ermittelt gegen den Schurken Bernard Tedritov, der Theo Magenheim und seinen Leuten das Leben schwerzumachen versucht. Derweil geht Theo wieder auf Grabungstour – in Saqqara, dem größten bronzezeitlichen Friedhof der Welt. Eine Schnitzeljagd durch die Ewigkeit beginnt …

Der hölzerne Pharao ist in den drei Teilen Einschnitte, Einblicke und Engpässe als E-Books in der Kindle Edition bei Amazon erschienen, zunächst nur für den Kindle-eReader. Ein ePub für alle Lesegeräte erschien 2015.

Mehr Informationen über den Roman –> HIER.
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