Legendenbildung

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Es gibt viele solcher Hügel in Norddeutschland, woher ich stamme. Man denkt sich nichts dabei, sie gehören zum Landschaftsbild. Viele von ihnen sind Grabhügel. Früher nannten wir sie Hünengräber. Sie wurden aufgehäuft über einem Dolmen, den sie für die Ewigkeit verbergen sollten. Darin war ein steinzeitlicher Machtmensch bestattet. Das Foto zeigt ein solches „Hünengrab“ in der Nähe von Ankershagen, wo Heinrich Schliemann aufgewachsen ist. Schliemann selbst hat lebhaft an der Legende gestrickt, dass der Anblick eines solchen Grabhügels in ihm den Wunsch geweckt habe, ihn aufzugraben und nachzusehen, was darin ist. Dem folgend hätten die norddeutschen Grabhügel meiner Kindheitslandschaft also die moderne Archäologie geboren – denn als deren Vater gilt Schliemann. Wenn ich, der Autor, mich durch die Schichten der Persönlichkeit Schliemanns grabe, wird es allerdings schwierig, die Legende vom Biografischen zu trennen. Der Anblick solcher Hügel mag die Fantasie des Jungen Schliemann beflügelt haben. Wenn man weiß, dass solche Hügel eigentlich Fürstengräber sind und dass diesen namenlosen Menschen Grabbeigaben fürs Jenseits beigelegt wurden, dann weckt das Neugier. Aber ob dieser Impuls wirklich direkt zur Entdeckung Trojas geführt hat, wie Schliemann es in seiner Autobiografie erzählt hat? Er mag den Gedanken im Hinterkopf gehabt haben, aber in dieser strikten Kausalität gehört diese Geschichte wohl in den Bereich der Legendenbildung.

Nr. 34 der Fotoserie Blicke 2020

Romanautor Lutz Büge stellt in „Blicke 2020“ Stationen seines Lebens und Schaffens vor. Ohne Ordnung, quer durch mehr als vier Jahrzehnte. Lutz hat mit elf Jahren angefangen, Geschichten zu schreiben. Die Fotoserie ist eine bunte Reise durch diese Jahre. Sie ist subjektiv, unvollständig, selbstironisch und will für die Romane von Lutz Büge werben.

Aktueller Roman: Evan – Virenkrieg IV