Es gibt Bücher, die das Potenzial haben, Einstellungen und Sichtweisen zu verändern. Nun ist es nicht besonders schwierig, kritisch gegenüber den USA eingestellt zu sein, trotz oder gerade wegen historischer Verbundenheit und Bündnistreue. Die USA haben sich Vieles geleistet, was nicht mit Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen ist. Doch was der US-Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch „Schmutzige Kriege“ geschrieben hat, schlägt dem Fass den Boden aus
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“Existenzielle Sicherheit der USA”
Abdulrahman Anwar al-Awlaki war ein junger US-Amerikaner, geboren 1995 in Denver, Colorado. Mit sieben Jahren wurde Abdulrahman in den Jemen geholt, wo er bei seinen Großeltern aufwuchs. Von ihm heißt es, er sei wie ein normaler amerikanischer Jugendlicher gewesen, sportlich, interessiert an Rap und HipHop und daran, sich mit seinen Freunden die Zeit zu vertreiben. Als er mit 16 Jahren hörte, dass der Name seines Vaters Anwar al-Awlaki, den er nie kennengelernt hatte, auf der Todesliste der USA stand, versuchte er, Kontakt zu dem Untergetauchten aufzunehmen. Zu spät — CIA und Sondereinsatztruppen des US-Militärs, JSOC-Einheiten, hatten Anwar al-Awlaki endlich klar im Visier. Elfmal hatten sie zuvor schon versucht, den radikalen US-Imam — al-Awlaki war 1971 in Las Cruces, New Mexico, geboren — zu töten. Am 30. September 2011 klappte es endlich. Der Wagen, in dem al-Awlaki saß, wurde von einer Hellfire-Rakete zerfetzt. Zwei Wochen später, am 14, Oktober 2011, traf es auch den Sohn. Abdulrahman wurde zusammen mit neun anderen jungen Leuten per Drohnen-Attacke im Jemen beim Grillen getötet. Er war 16 Jahre alt. Die US-Regierung behauptete zunächst, in Abdulrahman einen 21-jährigen Militanten ausgeschaltet zu haben. Später switchte sie zu der Behauptung, die Rakete habe eigentlich einem anderen in der Gruppe gegolten. Die anderen Getöteten waren demnach „Kollateralschäden“.
Dies ist eine der Geschichten, die Jeremy Scahill (links) in seinem Wälzer “Schmutzige Kriege — Amerikas geheime Kommandoaktionen” (Verlag Antje Kunstmann, München 2013) erzählt und die dieses Buch nahezu unerträglich machen. Ich habe nun fast ein halbes Jahr daran gelesen, wochenlang nur seitenweise, und bin erleichtert, endlich damit fertig zu sein. Nicht weil es schwer lesbar wäre; Scahill folgt durchaus der guten Tradition des US-Journalismus, schweren Stoff so zu verpacken, dass man ihm folgen möchte. Aber das heißt nicht, dass man ihm auch leicht folgen kann. Empfindlicheren Gemütern wie mir schlägt dieser schwere Stoff auf den Magen. Da kann er noch so ansprechend verpackt sein. Ich bin normalerweise ein flotter Leser. Dieses Buch aber nahm ich zunehmend ungern in die Hand. Und so absurd es auch klingt: Das ist vielleicht der beste Beweis dafür, dass es ein gutes und wichtiges Buch ist.
Was an diesem Buch so schwer ist? Ganz einfach: “Schmutzige Kriege” ist kein Roman. Keine Fiktion. Es ist nicht wie der faschistoide Roman “Die Todesliste” von Fredrick Forsyth, den ich vor einer Weile rezensiert habe. ”Schmutzige Kriege” nimmt für sich in Anspruch, die Realität abzubilden. Und diese Realität ist die eines “war on terror”, der außer Kontrolle geraten ist. US-Präsident Barack Obama — ein Friedensnobelpreisträger, der nicht gegen Krieg ist — ist in diesem Krieg Ankläger, Richter und Henker in einer Person und maßt sich damit eine Position jenseits jeder Rechtstaatlichkeit an. Selbst vor US-Staatsbürgern macht diese Jurisdiktion nicht halt (siehe oben). Die Tötungen werden mit der Notwendigkeit begründet, die nationale Sicherheit zu schützen, doch alle Versuche von Bürgerrechtsorganisationen in den USA, die Grundlagen einzusehen, auf deren Basis die Tötungen angeordnet wurden, werden mit der Notwendigkeit zur Geheimhaltung aus Gründen der nationalen Sicherheit abgewehrt. Und die US-Öffentlichkeit in ihrer überwiegenden Mehrheit fragt nicht nach. Selbst 77 Prozent der Abgeordneten der Partei der Demokraten folgen Obama in seiner Argumentation (und nahezu alle Abgeordneten der Republikaner). Die Praxis der gezielten Tötung — auch extralegale Hinrichtung genannt – ist längst ein erprobtes Mittel der US-Sicherheitspolitik.
Rein erzählerisch schneidet Scahill mehrere Ebenen hintereinander, man fühlt sich manchmal wie im Film. Wir erfahren alles über Somalia seit “Black Hawk Down” — an dieser Stelle eine Grußbotschaft an die Bundeswehr: Bleibt weg von dort! Oder lest zumindest vorher dieses Buch! – und über die Entwicklung im Jemen. Über al-Qaida auf der arabischen Halbinsel. Über die Anfänge des Drohnenkriegs unter George W. Bush und über die enorme Ausweitung dieses Kriegs infolge fortgeschrittener Technik unter Barack Obama. Auch die Tötung Osama bin Ladens fehlt nicht. All dies gespickt mit Unmengen von Wortäußerungen von US-Offiziellen, ehemaligen CIA-Mitarbeitern, Söldnern, Soldaten, Angehörigen der Opfer, Journalisten und gelegentlich auch — in auffallend geringer Zahl — Vertretern von Menschenrechtsorganisationen wie etwa der ACLU (American Civil Liberties Union). Das alles zu einem 600 Seiten langen Buch verarbeitet, dass wirklich schwer im Magen liegt.
Als roter Faden spinnt sich die Geschichte von Anwar al-Awlaki bis hin zur Tötung seines Sohnes durch “Schmutzige Kriege”. Über al-Awlakis Vernetzung mit dem al-Qaida-Terrorismus ist bei Wikipedia zu lesen: “Man nimmt an, dass er als Anwerber für al-Qaida tätig war.” Ich zitiere Wikipedia hier bewusst, weil das, was dort steht, in Situationen, die vielleicht juristisch kribbelig sind, immer der kleinste gemeinsame Nenner ist. Aus dieser Wikipedia-Formulierung kann man lesen: Es gab kein Gerichtsurteil — oder jedenfalls kein öffentlich gewordenes — gegen al-Awlaki, sondern man “nimmt an”, dass er für eine Terror-Organisation tätig war. Das wiederum heißt aber noch nicht, dass er al-Qaida auch wirklich angehörte, was den Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bedeuten würde. (Zumindest in Deutschland ist das ein Straftatbestand.)
Von der ersten Begegnung al-Awlakis (rechts) mit amerikanischen Strafverfolgungsbehörden — das FBI stellte ihm, so impliziert Scahill, eine Falle – bis zum Tod am 30. September 2011 versucht “Schmutzige Kriege”, das Leben dieses Imams zu rekonstruieren, nicht zuletzt um herauszufinden, was er sich denn tatsächlich hat zuschulden kommen lassen. Das Ergebnis ist dürftig. Al-Awlaki war ein orthodoxer Muslim, strenggläubig und in seiner Meinungsäußerung ausgesprochen strikt und intolerant. In den letzten zwei Jahren seines Lebens, die er an häufig wechselnden Orten im Jemen verbrachte, radikalisierte er sich und rief zur Gewalt und zum Dschihad gegen die USA auf. Vorher war er ein rigider Muslim, wie er vorgestern erst bei “Menschen bei Maischberger” zu besichtigen war. Was auch immer solchen Leuten im Kopf herumgeht — so lange sie nicht zu Straftaten aufrufen oder welche verüben, können sie uns persönlich so unangenehm sein, wie sie wollen, und das blödeste Zeug reden. Trotzdem dürfen wir sie nicht töten. Das wäre Mord. Genau das aber hat Barack Obama mit Anwar al-Awlaki getan. Und auch mit anderen, etwa Abdulrahman al-Awlaki. Den Nachweis von Straftaten dieser beiden Menschen sind die USA der Öffentlichkeit jedenfalls bisher schuldig geblieben.
Ende 2012 gab es einen Prozess in den USA, in dem die ACLU und die New York Times die Offenlegung der Gründe für die Tötung von drei US-Bürgern verlangten. Sie verloren diesen Prozess, aber die zuständige Richterin schrieb in der Urteilsbegründung:
“… nach sorgfältiger Überlegung befinde ich mich in einer paradoxen Situation, in der ich ein Problem aufgrund einander widersprechender Zwänge und Regeln nicht lösen kann — eine regelrechte Zwickmühle. Ich sehe keine Möglichkeit, das Dickicht aus Gesetzen und Präzedenzfällen zu umgehen, das es der Exekutive unserer Regierung tatsächlich gestattet, die vollkommene Rechtmäßigkeit bestimmter Handlungen zu behaupten, die dem Augenschein nach nicht im Einklang mit unserer Verfassung und den Gesetzen stehen, während die Regierung gleichzeitig die Gründe für ihre Schlussfolgerung als geheim einstuft.” (Zitiert nach “Schmutzige Kriege”.)
Dem “Augenschein nach nicht im Einklang mit unserer Verfassung” — eine US-Richterin gibt zu, dass sie nicht in der Lage ist, praktizierte US-Rechtsprechung zu überprüfen. Denn genau das sind die Todesurteile gegen jene Menschen, deren Namen auf der Todesliste stehen. Das heißt de facto, dass der Rechtsstaat die US-Exekutive nicht mehr kontrollieren kann. Die Gewaltenteilung, das wichtigste Kennzeichen westlicher Demokratien, ist ausgehebelt. Und bei uns in Deutschland ist das nicht viel anders, denn Teile dieses Kriegs des Barack Obama werden von deutschem Territorium aus geführt — von der US-Luftwaffenbasis Ramstein aus, wie kürzlich das ARD-Politmagazin “Panorama” berichtete. Deutschland macht sich mitschuldig. Auch wenn von Deutschland in “Schmutzige Kriege” fast nie die Rede ist.
Was bleibt, ist eine Frage, die auch in Scahills Buch aufgeworfen wird. Dort ist es der US-Oberst Patrick Lang, der in beschämender Einfachheit fragt:
“Ist AQAP [Al-Qaida on the Arabian Peninsula] tatsächlich eine existenzielle Bedrohung für die USA?”
Um gleich zu antworten:
”Natürlich nicht. Wie denn auch? Niemand von denen stellt eine existenzielle Bedrohung für die USA dar.”
Was wiederum die Frage aufwirft: Was ist eigentlich im Sinne nationaler Sicherheit? Dass Terrroristen mit Mitteln bekämpft werden, die selbst terroristisch sind — denn was ist das sonst, wenn für die Tötung eines Zieles der Tod von neun Jugendlichen in Kauf genommen wird?
„Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“
Jeremy Scahill
Verlag Antje Kunstmann, München 2013
Print 29,95 Euro
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„Verehrte Herren, lassen Sie mich nun zum Punkt kommen. Welche Kriterien zeichnen ein echtes Killervirus aus? Ich glaube, es sind vier:
Erstens: Hohes Ansteckungspotenzial. Es kann leicht übertragen werden. Unübertroffen ansteckend ist das Pocken-Virus, aber auch Influenza-Viren wie H5N1 können das gut.
Zweitens: Hohe Sterbequote mit dem Potenzial, selbst das beste Gesundheitssystem zum Zusammenbruch zu bringen. Unübertroffen: das Marburg-Virus mit bis zu 90 Prozent Toten.
Drittens: Mieses Image. Unser Killervirus löst Panik aus und lässt das gesellschaftliche Zusammenleben zum Erliegen kommen.
Viertens: Kein Gegenmittel. Es steht kein Impfstoff zur Verfügung und es kann in der Eile auch keiner hergestellt werden. Im Idealfall sollte es sich also um ein unbekanntes Virus handeln, das noch nicht erforscht werden konnte.
Und damit kommen wir zum Kern dieser Veranstaltung, sehr geehrte Herren, denn ich hätte hier etwas für Sie, hier in diesem kleinen, unscheinbaren Hochsicherheitsbehälter …“
Auszug aus den SCOUT-Protokollen, März 2017
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