Pläne sind dazu da, sie zu durchkreuzen, Regeln sind dazu gemacht, sie zu brechen. Für heute hatte ich eigentlich eine kleine Geschichte politischer Attentate seit John F. Kennedy angekündigt, doch die kann ich noch nicht liefern. Dafür habe ich aber etwas anderes Schönes für Dich, nämlich den Anfang von Teil 7 „Charybdis“ meines neuen Romans „Virenkrieg I.“ als Leseprobe. Viel Spaß!
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20 Seemeilen vor der Chesapeake Bay, 11. Juni 2024
Gegen zwei Uhr morgens bemerkte Corporal Morgan H. Bentfield, Sonar-Wache an Bord der USS Ticonderoga, eines in die Jahre gekommenen, atomgetriebenen Jagd-U-Bootes der Los-Angeles-Klasse, ein unerwartetes Geräusch, das wie ein Doppelschraubenantrieb in großer Ferne klang. Bentfield war sofort hellwach, denn das Geräusch stammte zweifelsfrei von einem anderen U-Boot, und außer der Ticonderoga und ihrem Schwesterschiff, der USS Sacramento, durften in diesem Seegebiet keine U-Boote unterwegs sein. Zumindest nicht offiziell. Es kam zwar vor, dass die Russen vorbeischauten, aber sie hielten sich immer in respektvoller Ferne.
Rasch schaute Bentfield die Liste aller Schiffe durch, deren Passage durch dieses Seegebiet gemeldet worden war, während er zugleich das ungewöhnliche Geräusch verfolgte und seine Position zu messen versuchte. Es kam von Nordosten und schien sich hinter der Ticonderoga nach Südwesten zu bewegen. In Kürze würde das Geräusch von den Verwirbelungen im Heckwasser der Ticonderoga verschluckt werden. Dennoch verzichtete Corporal Bentfield darauf, das fremde U-Boot mit dem Aktiv-Sonar anzupingen, was sich als Fehler erwies. Doch er glaubte zu wissen, dass die Fremden sich unbemerkt wähnten, und er wollte sie in diesem Glauben lassen.
Die Ticonderoga fuhr zu diesem Zeitpunkt Patrouille zwischen Point Dark Red und Point Dark Blue, zwei Positionen auf dem Meer, an denen sich nichts befand außer Funkbojen. Sie hatte zwanzig Meter Wasser über dem Vordeck und hundert Meter unter dem Kiel. Die Sacramento befand sich auf ihrer vorgesehenen Position zwanzig Seemeilen weiter draußen und bewegte sich entgegengesetzt zur Ticonderoga nach Norden; Bentfield konnte sie in der Ferne hören. Gemeinsam mit zwei Fregatten und einem modernen Sonar-Frühwarnsystem sicherten die beiden U-Boote die Einfahrt in die Chesapeake Bay, die damit zu den am besten überwachten Meeresgebieten der Welt gehörte. Und das nicht von ungefähr, denn etwas landeinwärts der Chesapeake Bay lag die US-Hauptstadt Washington. Was Corporal Bentfield jedoch wunderte, war die Tatsache, dass weder das Sonar-Frühwarnsystem noch die Sacramento das Geräusch wahrgenommen zu haben schienen. Jedenfalls hatte bisher niemand Meldung gemacht oder gar Alarm gegeben.
Und dann war das Geräusch von einem Moment auf den anderen fort, wie verschluckt. Bentfield ruckelte nervös an seinen Kopfhörern. Er hatte noch nie einen Schraubenantrieb verloren. Wenn ein U-Boot – und er war sicher, ein U-Boot gehört zu haben! – abrupt in eine Strömung kühleren Wassers eintauchte, die gegen das wärmere Oberflächenwasser eine klare Grenze bildete, dann drangen zwar deutlich weniger Dezibel an die wärmere Wasserschicht durch, aber immer noch genug, um sie mit den empfindlichen Geräten der Ticonderoga aufzufangen. Corporal Bentfield jedoch hörte gar nichts mehr von dem fremden U-Boot, selbst dann nicht, als er die Empfindlichkeit des Sonars so hochdrehte, dass ihm das Trommelfell geplatzt wäre, wenn sich in diesem Moment im Umkreis von zehn Seemeilen ein Wal zu singen entschlossen hätte. Bentfield konnte sich das Verschwinden nur so erklären, dass das fremde U-Boot alle Maschinen abgeschaltet hatte.
Wer schlich hier vor der Einfahrt zu einem der wichtigsten Häfen der US-Navy – Norfolk – und der Zufahrt zur US-Hauptstadt herum, der hier nicht hingehörte?
Bentfield machte einen Logbuch-Eintrag und weckte den zweiten Offizier der Ticonderoga, Lieutenant Thomas Reiter. Das Geräusch blieb verschwunden. Inzwischen musste sich die Quelle, selbst wenn sie ihren Kurs beibehalten hatte, irgendwo weit hinter der Ticonderoga befinden, wo sie wegen der Verwirbelungen des Meerwassers, die der Antrieb der Ticonderoga verursachte, mit dem Passiv-Sonar nicht mehr messbar war. Um die Peilung wieder aufzunehmen, hätte die Ticonderoga wenden müssen. Die Chance, das Geräusch wiederzufinden, war gering.
Die beiden Männer versuchten, den Kurs des U-Boots anhand der knappen Daten, die Bentfield ermittelt hatte, auf der Seekarte nachzuvollziehen. Dann entschied der Lieutenant, Meldung an die Fregatte USS Idaho und an das Hauptquartier zu machen. Die Idaho befand sich in Reichweite und verfügte über modernste U-Boot-Ortung und -Abwehr. Damit war der Fall für die Ticonderoga eigentlich erledigt. Dennoch sperrte Corporal Bentfield weiterhin die Ohren auf.
Beide Männer übersahen jedoch etwas, das sich wenig später als verhängnisvoll erwies: Der ermittelte Kurs des Gespenster-Bootes schnitt sich mit dem Kurs eines Schiffes, das in dieser Stunde das Seegebiet vor der Chesapeake Bay durchquerte.
***
Die Queen Mary 2, eines der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt, war auf dem Weg von New York nach Nassau, der Hauptstadt der Bahamas. An Bord befanden sich 2800 Passagiere und 1200 Menschen Besatzung. Die See war unruhig, aufgepeitscht von den Nachwehen eines Sturms, doch im Inneren des Ozeanriesen war davon kaum etwas zu spüren. Nur wer sich auf eines der Aussichtsdecks wagte, bekam es mit der rauen Wirklichkeit zu tun. Darum war Howard McCloy, ein Anwalt aus New York, allein auf der Backbord-Aussichtsgalerie. Eigentlich hatte er diese Luxusreise mit seiner Frau Susan antreten wollen, doch die hatte es vorgezogen, zwei Wochen vor der Reise die Scheidung einzureichen. Also reiste er allein, fest entschlossen, irgendwo in der Karibik über Bord zu gehen und einfach im Meer zu versinken. Die Scheidung würde ihn ruinieren.
Howard McCloy war betrunken und schickte sich gerade an, sich über die Reling hinweg zu erleichtern, doch als er in die Tiefe blickte, stockte ihm der Atem, und er vergaß seine Notdurft. Dort unten, weit unterhalb der Passagierdecks, nur wenige Meter über der Wasserlinie, hatte sich ein Schott im stählernen Leib der Queen Mary 2 geöffnet. Helles Licht fiel hinaus aufs Meer und auf etwas Großes, Dunkles, das neben der Queen Mary 2 im Meer schwamm, und zwar parallel zur Queen Mary 2 und mit derselben Geschwindigkeit, kaum zwei Meter von ihrem Rumpf entfernt. Es war kein Schiff, so viel erkannte McCloy trotz der schlechten Sichtverhältnisse sofort, denn es hatte keine Decks. Dass es eine kompakte, gewölbte Hülle hatte, aus der ungefähr in Schiffsmitte ein Turm aufragte, erkannte McCloy erst, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit dort unten gewöhnt hatten. Er schattete sie gegen das Licht des Aussichtsdecks ab, indem er seine Hände links und rechts neben die Augen hielt.
In dem Moment, in dem er begriff, dass er ein U-Boot beobachtete, öffnete sich auf der Vorderseite des Turms eine Luke. Licht strömte auf das stählerne Vordeck, und Menschen begannen, herauszuklettern und sich mit militärischer Präzision aufzustellen. Einer von ihnen fing die Strickleiter auf, die ihm vom Schott der Queen Mary 2 zugeworfen wurde, und zurrte sie an Deck des U-Bootes fest.
Später, im CNN-Interview, würde Howard McCloy sagen, er habe sofort gewusst, dass dies Ärger bedeute. Auf die Frage, warum er nicht sofort die Schiffsführung informiert habe, antwortete er, er sei vor Schreck wie gelähmt gewesen. Dass er betrunken gewesen war, davon sagte er kein Wort. Tatsache war, dass Howard keineswegs sofort an Ärger dachte, auch dann nicht, als die Männer vom Vordeck des U-Boots zum Schott der Queen Mary 2 hinaufzuklettern begannen. Stattdessen staunte er über die Präzision und Schnelligkeit, mit der das alles ablief – und zwar trotz unruhiger See! Dann allerdings sah er, dass die Männer bewaffnet waren und dass sie Gerät von einer Hand zur nächsten hinaufreichten. Mehrere große Koffer und viele andere Gegenstände verschwanden auf diese Weise im Leib des Kreuzfahrtschiffes. Erst als sie eine Reihe von schlanken Raketen – das hätte jeder Laie erkannt – von einer Hand zur nächsten in die Queen Mary 2 transportierten, erst da schwante Howard tatsächlich, dass dies Ärger bedeutete und dass er seine Beobachtung wohl melden sollte. Trotzdem konnte er sich nicht gleich von diesem Anblick lösen. Fasziniert verfolgte er, wie die Männer – insgesamt etwa zwei Dutzend – bis auf einen an Bord kletterten, und wünschte sich, selbst auch wieder so jung und flink zu sein. Und, was er nie gewesen war, so unerschrocken.
Ein Mann blieb auf dem Deck des U-Boots zurück und löste die Strickleiter wieder, um anschließend in der Luke des Turms zu verschwinden. Kaum hatte diese sich geschlossen, als das U-Boot direkt neben dem Kreuzfahrtschiff abzutauchen begann. Auch das Schott im Rumpf der Queen wurde geschlossen.
„Das waren keine Seelotsen“, brummte Howard, aber es war niemand da, der ihm beipflichten konnte. Daraufhin beschloss er, dass er sich einen Drink redlich verdient hatte. Auf unsicheren Beinen torkelte er zur Tür zurück und seufzte zufrieden, als sie sich hinter ihm schloss und den rauen Wind aussperrte.
Als Howard die Bar erreichte, an der er zuvor schon versucht hatte, seinen Kummer zu ertränken, hatte ein Teil des Enterkommandos bereits die Brücke der Queen Mary 2 unter Kontrolle gebracht. Die Kabine des Kapitäns war gestürmt worden, der Kapitän gefangengenommen. Ein anderer Teil des Kommandos hatte die Zentrale der Sicherheitskräfte übernommen und fünf Marine-Infanteristen erschossen, deren Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, die Queen Mary 2 vor eben solchen Überfällen zu schützen. Fünf weitere Soldaten wurden im Schlaf überwältigt und gefangengenommen. Einen sechsten Toten gab es, als zwei Mitglieder des Enterkommandos den Funkraum stürmten und den Funker erschossen, der seit Minuten SOS funkte und Einschätzungen der Lage an seine Kontakte an Land und an das US-Kriegsschiff Idaho durchgab.
Um 2:15 Uhr Ortszeit verließ die Queen Mary 2 ihren bisherigen Kurs und schwenkte um 70 Grad nach Backbord, hinaus auf den offenen Atlantik.
Als Howard McCloy volltrunken unter freundlicher Hilfestellung eines Stewards seine Kabine betrat, wusste er noch nicht, dass er Nassau nie sehen und dass er die Karibik, wo er sich das Leben hatte nehmen wollen, nie erreichen würde.
Um 2:30 Uhr begann die Queen Mary 2 auf allen Frequenzen zu funken:
„Wir haben nun angefangen. Queen Mary-TV geht um 8 Uhr ostamerikanischer Zeit weltweit auf Sendung. Beste Grüße von Bord. Osama bin Laden.“
Das war eine Leseprobe aus „Charybdis“, dem siebten Kapitel von Virenkrieg — Erstes Buch.
„Verehrte Herren, lassen Sie mich nun zum Punkt kommen. Welche Kriterien zeichnen ein echtes Killervirus aus? Ich glaube, es sind vier:
Erstens: Hohes Ansteckungspotenzial. Es kann leicht übertragen werden. Unübertroffen ansteckend ist das Pocken-Virus, aber auch Influenza-Viren wie H5N1 können das gut.
Zweitens: Hohe Sterbequote mit dem Potenzial, selbst das beste Gesundheitssystem zum Zusammenbruch zu bringen. Unübertroffen: das Marburg-Virus mit bis zu 90 Prozent Toten.
Drittens: Mieses Image. Unser Killervirus löst Panik aus und lässt das gesellschaftliche Zusammenleben zum Erliegen kommen.
Viertens: Kein Gegenmittel. Es steht kein Impfstoff zur Verfügung und es kann in der Eile auch keiner hergestellt werden. Im Idealfall sollte es sich also um ein unbekanntes Virus handeln, das noch nicht erforscht werden konnte.
Und damit kommen wir zum Kern dieser Veranstaltung, sehr geehrte Herren, denn ich hätte hier etwas für Sie, hier in diesem kleinen, unscheinbaren Hochsicherheitsbehälter …“
Auszug aus den SCOUT-Protokollen, März 2017
Böse? Das war erst der Anfang. Mehr gibt es –> HIER.
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ISBN: 9783981738803.
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