Ein Stoff von shakespearschen Dimensionen

Virenkrieg Cover 001Für den einen ist sie ein spannendes Gedankenspiel, mit dem sich mancher Zustand in der Welt erklären ließe, wenn es denn nur genug Beweise gäbe. Für den anderen ist sie düstere Realität, die allein deswegen keiner Beweise bedarf, weil sie manchen Zustand in der Welt so gut erklärt, dass sie einfach zutreffend sein muss: die Verschwörungstheorie. Wie viel Paranoia darf es sein?

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Ein Stoff von shakespearschen Dimensionen

Rosenkreuzer, Illuminaten, das Weltjudentum, die Bilderberger — es hat sie immer gegeben, diese Geheimgesellschaften  und Verschwörungen, manche vor realem Hintergrund, andere fiktiv, aus ideologischen Gründen herbeigeredet und instrumentalisiert. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Schuldige benennen, konkrete Menschen und Gruppen von Menschen, die für Miseren verantwortlich gemacht werden. Soll heißen: Verschwörungstheorien gehen immer mit einer gewissen Paranoia einher. Es ist  also Vorsicht geboten.

Nehmen wir ein Beispiel für eine aktuelle Verschwörungstheorie: die „Bilderberger“. Sie trafen sich erstmals 1954 im niederländischen Oosterbeek, dort im Hotel De Bilderberg — siehe Foto rechts. Sie, das sind Führungspersönlichkeiten aus allen Bereichen der Weltgesellschaft (West): Politiker, Industrielle, Militärs, Medienzaren. Die Rockefellers der Welt gewissermaßen. Sie alle sind sogenannte Multiplikatoren, d.h. sie sind in der Lage, mit ihren Meinungen und Einstellungen viele andere Menschen zu beeinflussen, denn sie treffen ständig viele andere einflussreiche Leute — zum Beispiel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, auf der Münchener Sicherheitskonferenz oder den Treffen der Trilateralen Kommission, die ebenfalls vom Ruch der Verschwörung umgeben ist. Immer sind es Eliten, immer ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, und man fragt sich unweigerlich, was diese mächtigen Leute da so bereden. Schwätzchen im Whirlpool über Potenzprobleme alter Männer? Nein, angeblich diskutiert man ernsthaft. Aber was kommt dabei  Konkretes heraus — und mit welchen Konsequenzen? Den Bilderbergern wird unterstellt, eine Art geheimer Weltregierung bilden zu wollen. So soll die deutsche Wiedervereinigung schon beim Bilderberger-Treffen von 1988 in Telfs-Buchen (Österreich) beschlossene Sache gewesen sein. Der deutsche Kanzler Helmut Kohl war damals zugegen, Michail Gorbatschow (natürlich) nicht.

Folgende Fragen drängen sich mir bei solchen Verschwörungstheorien auf:

  • Was erklärt diese Theorie? Welchen Notstand, welche Katastrophe, welches Ereignis?
  • Lässt sich dieser Notstand, diese Katastrophe, dieses Ereignis eventuell ganz zwanglos auch völlig anders erklären?
  • Wer hat etwas davon, eine solche Verschwörung zu postulieren?

Hinter diesem Fragen-Dreischritt steht meinerseits der Versuch, die Sündenbock-Dimension zu eliminieren, die nach meinem Geschmack viel zu oft Züge von Antisemitismus an sich hat. Wenn es nur darum geht, einen Sündenbock zu finden, sind solche Verschwörungstheorien für mich uninteressant. Wenn eine solche Theorie jedoch in der Lage ist, die Realität besser zu erklären als eine wie auch immer geartete offizielle Darstellung, wenn sie Motive der handelnden Personen plausibel erfasst, dann wird es aus meiner Sicht interessant. Man möge sich aber immer vor Augen halten, dass man sich auf dem Feld der Spekulation bewegt, solange es keine handfesten Beweise gibt. Und das Feld der Spekulation ist rutschig!

Der Versuch der Diskreditierung

Nun verströmt der Begriff „Verschwörungstheorie“ ein gewisses Düftchen, mit dem man nicht gern in Berührung kommen will — jedenfalls dann nicht, wenn man von der Umwelt als bei klaren Sinnen wahrgenommen werden möchte. So ein Düftchen von Spinnerei und Paranoia. Bei Wikipedia steht zum Beispiel der Satz: „Der Begriff ‚Verschwörungstheorie‘ wird zumeist kritisch oder abwertend verwendet.“ Lassen wir uns davon zunächst mal nicht beeindrucken, sondern halten uns an die sachliche Definition:

„Als Verschwörungstheorie bezeichnet man im weitesten Sinne jeden Versuch, ein Ereignis, einen Zustand oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken von Personen zu einem illegalen oder illegitimen Zweck.“

Wobei die Erwähnung eines „illegalen oder illegitimen Zwecks“ letztlich überflüssig ist. Eine Verschwörung verfolgt immer einen Zweck, und ob der illegitim ist, liegt sicher im Auge des Betrachters, der sich um diese Debatte vermutlich wenig scheren wird. Es soll sogar schon Verschwörungen gegeben haben, wo der Zweck jedes Mittel heiligte.

Drei Fragen an das JFK-Attentat

Kurze Rückblende: US-Präsident John F. Kennedy wurde am 22. November 1963 in Dallas erschossen. Schon kurz nach dem Attentat präsentierten die Behörden den mutmaßlichen Attentäter, einen jungen Mann namens Lee Harvey Oswald, der zwei Tage später von einem Mafia-Killer erschossen wurde. Eine offizielle Untersuchungskommission, die „Warren-Kommission“, bestätigte den Verdacht und sprach Oswald posthum schuldig, was aus juristischer Perspektive allerdings irrelevant ist. Einen Prozess hat es nie gegeben.

Schon damals wurden Stimmen laut, die an dieser offiziellen Version Kritik übten. Zahlreiche Aussagen von Zeugen des Attentats waren im „Warren-Report“ nicht berücksichtigt worden, selbst handfestes Beweismaterial wie der berühmte Zapruder-Film wurde übergangen. In dem Film ist zu sehen, wie Kennedys Kopf nach hinten geschleudert wird, was auf den Einschlag einer Kugel von vorn hinweist, während Oswald nur von hinten hatte schießen können — zudem mit einem veralteten Gewehr, mit dem es technisch unmöglich ist, in der gemessenen Zeit von 5,6 Sekunden drei Schüsse abzugeben. Diese und noch viele weitere Ungereimtheiten wurden zu einer langen Liste von Kritikpunkten, und die Kritiker des „Warren-Reports“ kamen auffallend oft zu der Einschätzung, dass Oswald nur ein Sündenbock gewesen sein könne und dass JFK in Wirklichkeit einer Verschwörung zum Opfer gefallen sein müsse. (Ich habe erst kürzlich das neue Buch von Mathias Bröckers besprochen, das all die Verflechtungen im Hintergrund noch einmal sehr anschaulich aufdröselt.) In Wahrheit, sagt Bröckers, habe sich eine Verschwörung aus CIA, US-Militär, Mafia und Exilkubanern gebildet, um Kennedy aus dem Weg zu räumen.

Wir haben es hier also mit einer Verschwörungstheorie zu tun. Nun kommt mein Fragenkatalog — siehe oben — zur Anwendung.

1. Was erklärt diese Theorie?

Die Antwort ist komplex. Zunächst erklärt sie natürlich das Attentat selbst und ist im Einklang mit den Zeugenaussagen, die der „Warren-Report“ nicht berücksichtigt hat. Kennedy hatte sich viele Feinde in Politik, CIA und Militär gemacht. Als Konsequenz aus dem Schweinebucht-Fiasko hat er den CIA-Chef Dulles geschasst. Er hat Generäle aus seiner beratenden Umgebung entfernt, Hardliner, die im Laufe der Kubakrise auf Einsatz von Atomwaffen gedrängt hatten, und sie gegen bedächtigere Leute ersetzt. Ferner hat er Abstand von einem militärischen Engagement der USA in Vietnam genommen — erneut gegen den Willen seiner Generalität, die Vietnam gern mit Krieg überzogen hätte. Und sein Bruder, der Justizminister, ging engagiert gegen die Mafia vor, die eng mit der CIA verbandelt war. Die Theorie einer Verschwörung gegen JFK liefert also zunächst etwas ganz Wesentliches: ein Motiv. Viele Motive. Von persönlicher Vergeltung bis hin zu persönlicher Bereicherung im Falle der Mafia oder der Rüstungsfirmen des militärisch-industriellen Komplexes, die am Vietnam-Krieg gut verdient hätten (und dann ja auch wirklich gut verdient haben). Die konkurrierende Theorie vom Einzeltäter Oswald dagegen liefert kein Motiv. Oswald soll aus geistiger Verwirrung getötet haben. Man muss einfach akzeptieren, dass er das Attentat aus irrationalen Gründen verübt hat.

Die Theorie einer Verschwörung gegen JFK liefert aber noch eine weitere Erklärung — nämlich die, warum es in Vietnam dann recht zügig zur Sache ging: Das größte Hemmnis der Kriegstreiber im Pentagon, JFK, war beiseite geräumt, also konnten die Falken jetzt handeln. Das Attentat war ein wesentlicher Beitrag zur Militarisierung der US-Außenpolitik, die bis heute anhält. Die Theorie macht ziemlich zwanglos die gesamte US-Außenpolitik nach dem Attentat plausibel, die unter Nachfolger Lyndon B. Johnson eine 180-Grad-Wende nahm. Hätte Kennedy seine Pläne einer Entspannungspolitik umsetzen können, sähe die Welt heute vermutlich komplett anders aus.

Doch Achtung: Dies alles ist Spekulation! Was fehlt, das sind nämlich die Beweise. Weder gab es ein Gerichtsverfahren, in dem solche Beweise geprüft worden wären, noch sind bis heute alle offiziellen Dokumente auf den Tisch gelegt worden. Da mag alles noch so gut zusammenpassen — beweisen lässt sich diese Verschwörungstheorie nicht. Sie mag plausibler sein als die Oswald-Theorie, aber sie ist und bleibt ein Gedankenspiel.

2. Lässt sich das Attentat zwanglos auch anders erklären?

Es lässt sich anders erklären, aber nicht zwanglos. Wie oben schon erläutert, muss man viel guten Glauben mitbringen, um die Geschichte vom verwirrten Einzeltäter Oswald und seiner „magic bullet“ zu akzeptieren.

3. Wer hat etwas davon, diese Verschwörung zu postulieren?

Viele. Hollywood zum Beispiel, denn Filme über Verschwörungen in den USA sind Kassenschlager. Die Amerikaner lieben Verschwörungstheorien! Darum gehen viele auch gar nicht erst wählen, sondern sagen sich: Die in Washington machen sowieso, was sie wollen; egal wen wir wählen, es gibt keinen Politikwechsel. Verschwörungstheorien liefern vielen Amerikanern also einen Grund, nicht wählen zu gehen. Im Ergebnis erleidet die US-Demokratie einen steten Legitimationsverlust. Wenn ein Präsident wie Obama von gerade mal 50 Prozent derjenigen gewählt wurde, die ihre Stimme abgegeben haben, dann wurde er in Wirklichkeit nur von etwa einem Viertel aller Amerikanerinnen und Amerikaner gewählt.

Aber auch wir Autoren haben eine Menge von solchen Verschwörungstheorien, einfach weil sie Stoff liefern, über den man wunderbar schreiben kann. Die Zahl der Bücher zum Thema JFK ist Legion, und ständig kommt Neues hinzu. Auch große Schriftsteller wie Norman Mailer und Don DeLillo haben sich mit dem Attentat und seinem Hergang beschäftigt. Das ist zweifellos ein großer dramatischer Stoff von shakespearschen Dimensionen. Ohne mich mit den genannten Größen vergleichen zu wollen: Auch mir hat das alles sehr zu denken gegeben, und es hat den „Virenkrieg“ mit inspiriert, den Roman, an dem ich gerade arbeite und dessen „Erstes Buch“ gerade veröffentlicht wird.

Meine Schlussfolgerungen

Der zugrundeliegende Gedanke ist eigentlich ganz einfach: Gesetzt den Fall, es hat damals tatsächlich eine Verschwörung mit dem Ziel gegeben, Kennedy aus dem Weg zu räumen. Haben sich die Verschwörer anschließend mit dem Resultat zufriedengegeben, oder haben sich die Falken vielleicht zusammengesetzt, um zu beraten, wie künftig zu verhindern wäre, dass jemals wieder eine Taube wie Kennedy Präsident wird? Vielleicht haben sie beschlossen, dass ihnen die US-Politik nie wieder so entgleiten dürfe, wie es unter JFK beinahe passiert wäre? Ich habe also versucht, die JFK-Verschwörungstheorie weiter zu verfolgen, mit den Mitteln, die ein Roman-Autor hat. Herausgekommen ist eine Fiktion, die nicht von sich behauptet, Wahrheit zu sein, die aber durchaus Wahrheit sein könnte.

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Virenkrieg Cover 001„Verehrte Herren, lassen Sie mich nun zum Punkt kommen. Welche Kriterien zeichnen ein echtes Killervirus aus? Ich glaube, es sind vier:
Erstens: Hohes Ansteckungspotenzial. Es kann leicht übertragen werden. Unübertroffen ansteckend ist  das Pocken-Virus, aber auch Influenza-Viren wie H5N1 können das gut.
Zweitens: Hohe Sterbequote mit dem Potenzial, selbst das beste Gesundheitssystem zum Zusammenbruch zu bringen. Unübertroffen: das Marburg-Virus mit bis zu 90 Prozent Toten.
Drittens: Mieses Image. Unser Killervirus löst Panik aus und lässt das gesellschaftliche Zusammenleben zum Erliegen kommen.
Viertens: Kein Gegenmittel. Es steht kein Impfstoff zur Verfügung und es kann in der Eile auch keiner hergestellt werden. Im Idealfall sollte es sich also um ein unbekanntes Virus handeln, das noch nicht erforscht werden konnte.
Und damit kommen wir zum Kern dieser Veranstaltung, sehr geehrte Herren, denn ich hätte hier etwas für Sie, hier in diesem kleinen, unscheinbaren Hochsicherheitsbehälter …“
Auszug aus den SCOUT-Protokollen, März 2017

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