Nur noch drei Wochen, und dann geht es endlich los mit dem „Virenkrieg“-Marathon. Derweil überprüfe ich noch mal dies und das. Im „Virenkrieg“ geht es unter anderem um den Zustand der USA im Jahr 2024. Da lohnte es sich für mich, noch einmal nachzuschauen, was vor rund 15 Jahren darüber gesagt wurde, in welchem Zustand die USA heute sein würden.
Wieder gelesen: „Ein Imperium verfällt“ von Chalmers Johnson
Die vergangenen Tage hielten ein Déjà-vu nach dem anderen bereit. Ich las ein Buch, das seit 13 Jahren in meinem Bücherschrank steht. Damals gelesen, weggestellt. Dann kam die Arbeit am „Virenkrieg“, meinem neuen Roman, und ich war glücklich, auf dieses Buch zurückgreifen zu können: „Ein Imperium verfällt — Wann endet das Amerikanische Jahrhundert?“ von Chalmers Johnson. Dieses Buch hat meine Einstellung zu den USA maßgeblich geprägt. Was der kalifornische Politikwissenschaftler da über Blowbacks schrieb, fand ich schon damals faszinierend, aber dass sich seine theoretische Vorhersage in derart drastischer Weise bewahrheiten würde, überraschte mich dennoch, als ich das Buch jetzt wieder las und die Aussagen dabei überprüfte.
Blowback — das ist CIA-Jargon und bedeutet „Rückstoß“. So wird, steht bei Wikipedia, „in der Fachsprache der Geheimdienste der unbeabsichtigte Effekt bezeichnet, bei dem inoffizielle außenpolitische Aktivitäten oder verdeckte Operationen später negativ auf deren Ursprungsland zurückfallen“. Von solchen inoffiziellen außenpolitischen Aktivitäten und verdeckten Operationen hat es in der Geschichte der USA und ihres Imperialismus‘ jede Menge gegeben. Einer der berühmtesten Blowbacks warf die Iran-Politik der USA im Jahr 1979 quasi auf Null zurück: Die USA hatten zusammen mit den Briten im Jahr 1941 Mohammed Reza Pahlevi auf den Thron des Schahs gehoben und stützten ihn trotz offensichtlicher Unfähigkeit, bis sie die Quittung für diese Politik in Form der Islamischen Revolution bekamen. Als den wichtigsten Blowback auf die „außenpolitischen Aktivitäten“ der USA dürfte man wohl 9/11 bezeichnen.
Die USA haben bis heute nicht aufgehört, sich zu verhalten wie ein Weltpolizist — eine geostrategische Rolle, die sie niemand gebeten hat einzunehmen. Sie scheinen heute auf dem Höhepunkt ihrer Macht zu sein, anders als Chalmers Johnson es prognostizierte; er sah bereits in den 90er Jahren Anzeichen für den Niedergang. Zumindest rein militärisch kann heutzutage niemand den USA das Wasser reichen. Diese machtvolle Position ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Der aktuelle Präsident Barack Obama, einst Hoffnungsträger vieler progressiv eingestellter Menschen in aller Welt und Träger des Friedensnobelpreises, führt inzwischen einen Krieg mittels unbemannter Drohnen, der unzählige unschuldiger Zivilisten das Leben gekostet hat. Obama ist Ankläger, Richter und Henker in einer Person. In dieser anmaßenden Haltung unterscheiden sich die USA heute nicht mehr von den Terroristen, die sie eigentlich bekämpfen. Auch dies kann wohl als Blowback bezeichnet werden: Der Kampf gegen den Terror produziert Terror. Nur dass dieser Terror von Washington ausgeht und das freiheitliche, rechtsstaatliche Wesen der USA im Kern bedroht. Wenn so etwas in einem „Rechtsstaat“ möglich ist, hat dieser Staat jegliches moralisch-ethische Rückgrat verloren. Obama führt die Politik des George W. Bush weiter. Spötter nennen ihn schon Barack W. Obama.
Ein ständig wiederkehrendes Muster
Es ist faszierend und zugleich auch ermüdend zu beobachten, wie einfallslos die imperiale Politik der USA ist. Sie besteht im Wesentlichen daraus, Bomben zu werfen und Marschflugkörper abzufeuern. Seit dem Jahr 2000, in dem in Deutschland die Hardcover-Ausgabe des Johnson-Werkes erschien, hat sich nichts geändert. Die USA setzen auf militärische Stärke, frei nach der Doktrin, jederzeit überall auf der Erde zuschlagen zu können. So wie Bill Clinton eine „Giftgasfabrik“ im Sudan beschießen ließ, lässt Obama heute Islamisten hinrichten, wo immer sie vor die Drohnen-Objektive geraten. (Der Roman „Die Todesliste“ von Frederick Forsyth, den ich kürzlich besprochen habe, atmet genau diesen Geist.)
Zehn Flugzeugträger mit Begleitflotten sind das Rückgrat dieser globalen militärischen Macht. Hier die „George H. W. Bush“, benannt nach dem 41. US-Präsidenten — 330 Meter lang, Masse 97000 Tonnen, Tiefgang 12,5 Meter, bis zu 85 Flugzeuge, in Dienst gestellt 2009, Baukosten rund 6,3 Milliarden Dollar. Jedem dieser Flugzeugträger ist eine Trägerkampfgruppe zugeordnet, die außer dem Träger aus bis zu neun Begleitschiffen besteht, zwei davon U-Boote. Zwei weitere Flugzeugträger neuerer Bauart liegen derzeit auf Kiel. Das bedeutet, dass die USA ihre Politik auch künftig nicht ändern werden.
Als Chalmers Johnson „Ein Imperium verfällt“ — der Originaltitel lautet: „Blowback: The Costs of the American Empire“ — schrieb, war 9/11 noch nicht passiert. Es ist erstaunlich, wie sehr die US-Politik davor und danach sich gleicht, aber es gibt auch Unterschiede. Johnson schrieb:
„Das amerikanische Militär ist auf dem besten Weg, sich in ein autonomes System zu verwandeln. Wir haben keine Wehrpflichtigenarmee mehr, die auf der Pflicht der Bürger des Landes gründet, ihren Teil zur Verteidigung der Nation beizutragen. (…) Heute ist die US-Armee eine Söldnerarmee, in der vom Pentagon bezahlte Freiwillige Dienst tun. Obwohl sich das Militär immer noch um die Unterstützung der Öffentlichkeit für eine aus ihren Mitbürgern bestehende Streitkraft bemüht, verlieren die Streitkräfte zusehends die Verbindung zu den zivilen Belangen und widmen sich ausschließlich militärischen Interessen. (…) Gewöhnt an das Leben in einem mittlerweile ein halbes Jahrhundert alten, fest im Sattel sitzenden Imperium, hat das Militär angefangen, seine eigenen Interessen höher zu bewerten als das alte Ideal, dass es nur eines von mehreren Mitteln ist, welcher sich eine demokratische Regierung zur Umsetzung ihrer Politik bedienen kann.“
Diese Tendenz hat sich seitdem fortgesetzt und weiterentwickelt. Inzwischen sind die US-Streitkräfte nämlich nicht mehr die einzige Streitmacht, die vom Pentagon bezahlt wird; inzwischen gibt es auch noch Blackwater (heißt heute „Academi“). Der militärisch-industrielle Komplex der USA erfreut sich also bester Gesundheit. Hinter dem klingenden Namen „Academi“ verbirgt sich nichts anderes als eine privatwirtschaftlich geführte Söldnerarmee, die auch vom Pentagon gebucht wurde. Das Auftauchen von Söldnern ist quer durch die Geschichte — nicht erst seit den letzten Tagen des römischen Imperiums — ein klares Indiz für den Niedergang eines Imperiums.
Verfällt das Imperium also wirklich? So kraftstrotzend die USA zurzeit auch noch daherkommen mögen — es gibt Anzeichen imperialer Überdehnung ihrer Kräfte. Sie sind weiterhin der größte Waffenexporteur der Welt, weiterhin vermittelt das Pentagon gern Kontakte in die US-Militärindustrie und füttert so den militärisch-industriellen Komplex, und weiterhin sind die USA fähig, jederzeit an zwei verschiedenen Orten der Welt Krieg zu führen, so wie der ehemalige US-Vizepräsident Richard Cheney und die Falken um den damaligen Präsidenten George W. Bush es gefordert haben. Doch schon am 17. Dezember 2006 sagte der damalige Außenminister Colin Powell auf CBS, die US-Streitkräfte seien durch den Krieg gegen den Terror völlig überlastet und „so gut wie am Ende“ (zitiert nach: Jeremy Scahill, „Blackwater“, S. 26 der rororo-Ausgabe.)
Zugleich haben die USA ein riesiges Haushaltsdefizit angehäuft. Der Haushalt des „Verteidigungs“-Ministeriums ist natürlich sakrosankt, daran darf niemand die Axt anlegen. Alle paar Monate muss die Schuldenobergrenze, bis zu der die US-Regierung Kredite aufnehmen darf, nach oben korrigiert werden, alle paar Monate brechen die gesellschaftlichen Gräben der USA auf, und wir erleben bizarre Schauspiele, die von Hass, Rassismus und politischem Fundamentalismus geprägt sind. Besonders schräg wird es, wenn die sogenannte „Tea Party“ auftritt, eine ultrakonservative Gruppe innerhalb der republikanischen Partei. Ihr — auch rassistisch motivierter — Hass auf den derzeitigen Präsidenten Barack Obama führt regelmäßig zur politischen Blockade aus ideologischen Gründen. Extrempositionen, wie sie von den Ultrakonservativen unversöhnlich gehalten werden, sind immer ein Anzeichen dafür, dass politische Kultur versagt. In den USA scheint das auf breiter Front zu geschehen.
Alle Vergleiche der USA mit dem römischen Imperium hinken, auch wenn es Parallelen gibt. Letztlich dürften die USA an sich selbst scheitern, weil sie dem Feind, den sie zu bekämpfen glauben, zu ähnlich geworden sind. Das zeigt sich auch in der Uferlosigkeit, mit der sie verbündete Länder unter dem Deckmantel der Terror-Prävention ausspionieren. In weiten Teilen dieser Welt ist die erste Assoziation, die die Menschen haben, wenn sie „USA“ hören, nicht mehr „Freiheit“, „weites Land“ oder meinetwegen auch „Hamburger“, wie dies noch in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts der Fall war. Heute denken viele Menschen spontan ein anderes Wort: „Raketen“.
Sehr lesenswert und erhellend und immer noch erhältlich: Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt. Hardcover-Ausgabe im Karl Blessing Verlag 2000 oder in der Ausgabe bei Goldmann von 2001. 319 Seiten,